Biographie

Das Leben Wilhelm Fraengers umspannt vier sehr unterschiedliche historische Staatsverfassungen in Deutschland. Hier werden drei Phasen unterschieden:  die erste, 1890-1933, umfasst Kindheit und Jugend in der Kaiserzeit und sein frühes Erwachsenwerden und intensivstes Leben während der Weimarer Republik in Heidelberg bis zur Machtübernahme durch den Nationalsozialismus. Die zweite Phase, 1933-45, zeigt sein zurückgezogenes Leben im Dritten Reich und während des Krieges,   die dritte von 1945 bis zu seinem Tod im Jahre 1964 sein ausschließlich der Wissenschaft gewidmeten Leben in der DDR.

1890 – 1933

5. Juni 1890
Wilhelm August Ludwig Fraenger wurde in Erlangen als Sohn des Justizrates und zweiten Bürgermeisters Emil Karl Hermann und seiner Frau Wilhelmine Jacobine Fraenger geboren.

1896 – 1900
Besuch der Volksschule in Erlangen.

1900 – 1910
Besuch der humanistischen Gymnasien in Erlangen, Ingolstadt und Kaiserslautern.

1910 – 1918
Studium der Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Geschichte und Volkskunde an der Universität Heidelberg.

1912
Fraenger befreundete sich mit den Künstlern Alfred Kubin und Max Zachmann.

1913
Fraenger erhielt die Goldene Medaille der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg für die Preisschrift „Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts und ihr Vertreter Arnold Houbraken“.

1914 – 1918
Er war Mitglied des Heidelberger Kunstvereins und zwei Jahre lang dessen zweiter Vorsitzender.

1915 – 1916
Gefreiter im Reserve-Infanterie-Ersatzbataillon Karlsruhe.

1915 – 1918
Assistent am Kunsthistorischen Institut der Universität Heidelberg.

1917
Fraenger promovierte bei Carl Neumann über „Die Bildanalysen des Roland Fréard de Chambray“.

1918 – 1927
Er veröffentlichte Studien u.a. zu Ernst Kreidolf, Hercules Seghers, Pieter Brueghel und Max Beckmann, gab die „Komische Bibliothek“ heraus und hielt Vorträge über alte und moderne Kunst an der Mannheimer Kunsthalle unter der Direktion von Fritz Wichert. Darüber hinaus unternahm er Studienreisen in die Niederlande, nach Frankreich und in die Schweiz.

1919
In Heidelberg gründete Fraenger den freien Bildungsbund „Die Gemeinschaft“, in dem u.a. Hans Fehr, Theodor Haubach, Oskar Kokoschka, Hans Prinzhorn und Carl Zuckmayer mitwirkten.

1920
Heirat mit Auguste („Gustel“) Esslinger; Bekanntschaft und spätere Freundschaft mit Heinrich George.

ilhelm Fraenger, Gustel Fraenger und Ali Lichtenstein, von Ali Lichtenstein 1922

1924
Beginn der lebenslangen Freundschaft mit der Künstlerin Louise Kayser-Darmstädter und Wilhelm Fraenger.

1925
Herausgabe des „Jahrbuchs für historische Volkskunde“.

1927 – 1933
Fraenger wirkte als Direktor der Schloßbibliothek Mannheim und öffnete diese der Arbeiterschaft.

1933
Fraenger wurde von den Nationalsozialisten seines Amtes als Direktor der Schloßbibliothek Mannheim enthoben und erhielt dort Hausverbot.
Seine Bücher wurden verbrannt, er selbst aus der Schriftleitung des von ihm begründeten „Jahrbuchs für historische Volkskunde“ gedrängt.

1933 – 1945

1933 – 1938
Fraenger wurde freier Mitarbeiter beim Südwestdeutschen Rundfunk in Frankfurt a.M. Er verfaßte u.a. Beiträge für die von Wolfgang Frommel konzipierte Sendereihe „Mitternachtssendungen“ und entwickelte die Reihe „Deutsches Schatzkästlein“.

1933 – 1935
Fraenger begann seine Forschungen zu Brentanos Gedicht „Alhambra“; 1935 wurde die Arbeit im Berliner Verlag „Die Runde“, der 1930 von Frommel mitbegründet wurde, veröffentlicht.

1934
Fraenger beantragte die Mitgliedschaft im Reichsverband deutscher Schriftsteller e.V.

1935
Umzug von Mannheim nach Heidelberg.

1936
Fraenger gab einen Sammelband von Paradiesvorstellungen „Das deutsche Himmelreich. Aus 1000 Jahren deutscher Frömmigkeit erlesene Paradiese“ heraus. In seinem Vorwort entwickelte er ein Modell der ‘inneren Emigration’, in dem das Leben durch Phantasie elementar bereichert wird. Noch im Erscheinungsjahr wurde das Buch verboten.
Seine folgenden Arbeiten setzten sich mit dem Werk Matthias Grünewalds auseinander. Sein Interpretationsansatz, das Genie Grünewalds basiere auf physiologischen Abnormitäten, stieß auf harsche Ablehnung seitens der Nationalsozialisten, die Grünewald als ‚urdeutsch‘ für sich beanspruchten.

1937
Veröffentlichung von Fraengers Buch über Grünewalds Isenheimer Altar.

1938
Fraenger stellte erneut einen Aufnahmeantrag bei der Reichsschrifttumskammer, die 1935 den Reichsverband deutscher Schriftsteller e.V. übernommen hatte. Ob Fraenger jemals Mitglied wurde, bleibt unklar.
Fraenger wurde von Heinrich George nach dessen Ernennung zum Intendanten des Schiller-Theaters in Berlin zum künstlerischen Beirat berufen. Es gelang ihm mehreren Bekannten und Freunden (u.a. Günther Strupp und Karl Rössing), die wegen ihrer politischen Haltung keine Arbeitsmöglichkeiten mehr hatten, Aufträge zu vermitteln.

1940 – 1944
Fraenger arrangierte Matineen – sogenannte „Dichtermorgen“ – am Theater. Diese stießen auf reges Publikumsinteresse. Zur Aufführung kamen Werke der Klassik und Romantik aus Dichtung und Musik.

1941
Die Berliner Wohnung des Ehepaars Fraenger wurde ausgebombt.

1943
Nach der Zerstörung des Schiller-Theaters zogen Gustel und Wilhelm Fraenger nach Päwesin bei Brandenburg um. Fraenger vertiefte sich in seine Forschungen zu Hieronymus Bosch. Mit dem Rechtshistoriker und Staatsrechtler Carl Schmitt verband ihn, ungeachtet dessen politischer Haltung, das gemeinsame Interesse am Maler.

1945
Fraenger geriet am 3. Mai für sechs Wochen in sowjetische Kriegsgefangenschaft.
Eintritt in die KPD.

1945 – 1964

1945 – 1946
Als Bürgermeister von Päwesin war er für die Durchführung der Bodenreform und die Unterbringung von 25.000 Flüchtlingen verantwortlich.

1946
Fraenger war Stadtrat für Volksbildung in Brandenburg. Er übernahm die politische Überprüfung (Entnazifizierung) der Bibliotheken.
Im Juni richtete er eine Volkshochschule ein.

1946 – 1947
Leiter der Volkshochschule.
Fraenger lernte die als Sekretärin beim Kulturbund tätige Ingeborg Baier kennen, die später bei dem Ehepaar Fraenger lebte.

1947
Wiederaufnahme des Kontakts mit Wolfgang Frommel; Veröffentlichung des Buches „Hieronymus Bosch: Das Tausendjährige Reich“. Er lernte Ingeborg Weber-Kellermann kennen, die später den Kontakt Fraengers zu Wolfgang Steinitz herstellte.

1947 – 1948
Nach einem Parteiprüfungsverfahren wurde Fraenger im Oktober 1948 aus der SED ausgeschlossen. Tätigkeit als Künstlerischer Beirat am Renaissance-Theater in Berlin. Als er diese Position mit Beginn der Berlin-Blockade aufgeben mußte, konzentrierte sich Fraenger in den folgenden Jahren auf seine privaten Studien.

1947 – 1949
Zweiter Vorsitzender des Kulturbundes Brandenburg.

1950
Mitbegründer der in Amsterdam erscheinenden Zeitschrift „Castrum Peregrini“ .

1952 – 1953
Fraenger erarbeitete eine Konzeption für das Museum für deutsche Volkskunst in Berlin.

1953 – 1959
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Volkskunde der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAW).
Konzeption und Herausgabe des „Deutschen Jahrbuchs für Volkskunde“.
Fraenger erhielt von der DAW einen Forschungsauftrag, der es ihm ermöglichte, seine 30-jährigen Studien zu Jörg Ratgeb zu vervollständigen.

1954 – 1959
Stellvertretender Direktor des Instituts für deutsche Volkskunde.

1955
Ernennung zum Professor.

1957
Fraenger organisierte den Volkstanz- und Tanzschriftkongreß in Dresden mit Albrecht Knust als Referenten.

1958
Studienreisen nach Amsterdam (Besuch bei Gisèle d’Ailly van Waterschoot van der Gracht) und nach Südwestdeutschland.

1960
Verleihung des Vaterländischen Verdienstordens in Bronze anläßlich seines 70. Geburtstags.

1961
Ernennung zum Ordentlichen Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin.

19.2.1964
Fraenger starb in Potsdam.

Seine Witwe Auguste Fraenger und seine Ziehtochter Ingeborg Baier-Fraenger engagierten sich für den Erhalt des Nachlasses und bauten das Fraenger-Archiv auf.